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„Blau beeindruckt“
Rekonstruierte Trachten und ein Modelabel in der Altmark
– von J.H.A.Michael Kablitz, 2024 –
Peter Fischer und die Wiederbelebung altmärkischer Trachten
In den 1980er Jahren initiierte Peter Fischer, Direktor des Danneil-Museums und des Diesdorfer Freilichtmuseums, umfangreiche Forschungen zur altmärkischen Tracht. Anlass war die 750-Jahr-Feier von Salzwedel im Jahr 1983. In Zusammenarbeit mit Albrecht Lange vom Sorbischen Institut in Bautzen führte Fischer zu den in Vergessenheit geratenen Trachten der Altmark intensive Archiv- und Feldforschungen durch.
Die Schaffung einer Folklore-Einrichtung in Salzwedel machte die Trachten für Peter Fischer zu einem wichtigen Forschungsgebiet seiner kulturellen Arbeit. Er ließ neue Stoffe fertigen und Trachtenteile schneidern. Die Rekonstruktionen fanden Verwendung bei Festumzügen, Tanzgruppen und bei Vorführungen im Museum. Zeitgleich waren in der DDR bereits viele Tanzensembles aktiv, die in interpretierter Tracht auftraten. Albrecht Lange arbeitete vielen Gruppen bei der Bühnenkleidung zu. Er hatte seit den 1950er Jahren unter anderem die Wendlandtracht und Lausitzer Trachtengebiete intensiv studiert.
Trotz akribischer Dokumentation bleibt die historische Genauigkeit der Trachtenrekonstruktionen teilweise fraglich, da detaillierte zeitgenössische Berichte fehlen. Die einerseits exakte Reproduktion vergangener Formen und andererseits die Verwendung moderner Materialien, wie Dederon deutet auf eine Inkonsequenz der Authentizität hin. Nur diese Flexibilität ermöglichte die Schaffung vieler anlassbezogener Anzüge der Tracht in der Altmark. Peter Fischer hat mit seinem Sinn für das Aufspüren von Stoffproben und der Fleißarbeit der Dokumentation eine umfangreiche Sammlung hinterlassen, deren weitere Erforschung wünschenswert ist.
Christamaria Meyer und ihr Modelabel
Als Mittdreißigerin hat Christamaria Meyer aus Püggen in der Altmark sich für eine radikale Umgestaltung ihres Lebens entschieden und machte ihre Leidenschaft zum Beruf. „Aus dem Büro in den Webstuhl“ – so vielleicht ihr Motto.
Handarbeitskurse, Kulturpflege und die Weberei machten sie letztlich auch zu einer Modeschöpferin mit Geschick. Die vielseitige Förderin von Land und Leuten der Altmark kreierte eigene Modekollektionen und schuf damit ein Art altmärkisches Label, das Regionalkultur und Nachhaltigkeit verbinden sollte.
Die Bekanntheit nutzen und Sinnstiftendes schaffen – die Püggensch Spinnstuuw wurde weit über die Landesgrenzen bekannt. In der Zeit des Umbruchs hin zur Einheit Deutschlands gestaltete Christamaria Meyer die Zukunft in Salzwedel aktiv mit, indem sie unter anderem das Stipendiatenhaus mitbegründete, das bis heute erfolgreich und angesehen arbeitet.
Die Weitsicht von Christamaria Meyer ist auch heute noch spürbar. Bereits vor ihrem Tode übergab sie ihre Sammlung an das Museum in Diesdorf. Damit ermöglichte sie künftigen Generationen, ihre Erkenntnisse über altmärkische Textiltraditionen nachzuvollziehen. Gleichzeitig wird so das Andenken an diesen tatkräftigen kulturellen Wirbelwind wach gehalten.
Infobox: 1904 – 1935 – 1983: Jede Zeit hat ihre Bilder der Tracht
Lange war im Freilichtmuseum Diesdorf eine von Peter Fischer erstellte Malerei auf Holz ausgestellt. Sie ist heute vor allem ein Zeugnis davon, wie sich Vorstellungen vergangener Lebenswelten manifestieren können. Die Holztafel zeigt ein „Altmärkisches Bauernpaar“, wie es nach Fischers Annahme ausgesehen haben könnte.
Fischer wurde in der Gemäldegalerie in Potsdam zu dieser Darstellung angeregt: Auf dem Werk „Huldigung vor König Friedrich Wilhelm IV., 15. Oktober 1840“ von Franz Krüger ist im unteren rechten Bereich ein einzelnstehendes Paar in ländlicher Kleidung zu sehen. In einer leichten Abweichung der Kleidung und in derselben Pose ist das Paar auf der Holztafel gestaltet.
Damit verewigte Peter Fischer seine Vorstellung der Altmärkischen Tracht, welche für künftige Generationen erhalten bleibt.
Infobox: Dederon – dieser Stoff könnte auch „die DDR-Kunstfaser für alle Fälle“ genannt werden
Stoff aus Polyamid Faser, dessen Name sich aus „DDR“ und der Silbe „on“ zusammensetzt. Der Einsatz des Stoffes war so vielseitig, wie es kaum vorstellbar ist. Seine Erfindung geht auf die amerikanische Entwicklung von Nylon in den 1930er Jahren zurück.
Die Dederon-Fasern wurden unter anderem im VEB Chemiefaserkombinat Wilhelm Pieck in Rudolstadt-Schwarza oder im VEB Chemiefaserwerk Herbert Warnke in Wilhelm-Pieck-Stadt Guben hergestellt.
Der bekannteste Artikel aus Dederon ist der Kittel, welcher in verschiedenen Berufsständen und geschlechterübergreifend Anklang fand – von der Schürze im Haushalt bis zum Kittel für Klinikfachpersonal.
Infobox: Die Fundorte von Kleidung und Stoffproben können überraschen
Einen wirklich abenteuerlichen Fund machte Peter Fischer während einer unverhofften Begegnung mit einem Hund.
Bei einer Hofbegehung hatte Fischer ein altes Kleidungsstück entdeckt, das wohl von den Hofeigentümern ausgemustert und dem Hund "vermacht" worden war. Der Textikenner erkannte sofort den Wert des Stoffes, nicht ahnend, welch Drama er damit heraufbeschwor, denn der Hund begrüßte den Raub seiner weichen Unterlage keinesfalls und entriss sich der Halterin, um Peter Fischer anzugreifen.
Helfende Hände schritten ein und schützten Forscher und Fundobjekt. Wie sich herausstellte, handelte es sich dabei tatsächlich um eine echte Rarität, ein um 1945 im dortigen Haus genähtes Kleid aus mühsam selbstgewebtem Stoff in Leinen/Wolle-Bindung. Einzig am Kragen befand sich ein Stück gekauften Chiffon-Stoffs. Der Einsatz hatte sich gelohnt, und ein und ein seltenes Dokument der Armut der Nachkriegszeit in der Altmark war gerettet. Bis heute befindet es sich in der Sammlung des Freilichtmuseums Diesdorf.